Karl Lauterbach und Long Covid bei Kindern

Angesichts der Themen, über die wir auf der Antithese schreiben, wird es nicht lange dauern, bis uns unterstellt wird, das “Narrativ von oben” weiterzutragen. Und das ist nicht einfach irgendeine Vermutung, bei Diskussionen mit Verschwörungstheoretikern wird uns das regelmäßig vorgeworfen. Beispiele dafür findet ihr in unserer Reihe Verschwörungstheoretiker können nicht argumentieren. Um diesem Vorwurf zu begegnen, ist einer unserer ersten Beiträge eine Kritik an Karl Lauterbachs Aussagen zu Long Covid bei Kindern aus dem Mai/Juni 2021.
Lauterbachs Aussagen zu Long Covid bei Kindern
Anfang 2021 waren Long Covid und Long Covid bei Kindern Dauerthemen in den Medien. Auch Karl Lauterbach, der während Corona eine hohe Medienpräsenz hatte, widmete sich der Materie. Er sah in Long Covid bei Kindern einen Grund für mehr Kinder-Impfungen und härtere Regeln beim Schulalltag. Als Grundlage für seine Aussagen nante Lauterbach der Bild im Mai 2021 zwei Studien. Eine Studie des britischen Office for National Statistics und eine “große italienische Studie”. Die Studie des britischen Office for National Statistics befindet sich noch heute auf Lauterbachs Website. Dazu schreibt er im Juni 2021: “ Wenn wir Kindern keine Impfung anbieten, kann [Long Covid] im Herbst ein Problem werden.”
Die Studien
Die Daten zu den Studien
Der Datensatz der britischen Studie bestand zum damaligen Zeitpunkt, dem März 2021, aus ca. 1 Million Meldungen von Long-Covid Symptomen nach einer Corona-Erkrankung. Das ist ein beträchtlich großer Datensatz. Dabei wurde seitens der Studie jedoch nicht sichergestellt, dass die teilnehmenden Personen auch tatsächlich an Corona erkrankt waren. So heißt es in der Studie: “people […] had (or suspected they had) COVID-19”, also “Die Personen hatten Corona (oder vermuteten, dass sie es hatten)”. Dies birgt die Gefahr, dass Personen, die an der Studie teilgenommen haben, nie an Corona erkrankt waren, sondern sich nur selbst damit diagnostiziert haben. In einer Zeit, in der Corona so präsent war, kann man das erwarten. Selbstdiagnosen stehen nicht ohne Grund in der Kritik. In den letzten Jahren diagnostizieren sich beispielsweise immer mehr junge Menschen fälschlicherweise selbst mit ADHS oder Autismus. Der Grund dafür ist die erhöhte Präsenz der Neurodiversitäten auf Plattformen wie Instagram. Schon Social Media Trends können also einen Effekt auf Selbstdiagnosen haben. Uns ist bewusst, dass es an Selbsttests und Testzentren damals nicht gerade gemangelt hat und der Großteil der Testpersonen wahrscheinlich tatsächlich Corona hatte. Aussagen zum Anteil der Fehldiagnosen sowie eine Unterscheidung zwischen korrekt und falsch diagnostizierten Personen kann man allerdings nicht machen.
In der italienischen Studie ist der Datensatz mit 129 Kindern erheblich kleiner, dafür waren alle teilnehmenden Kinder nachweislich an Corona erkrankt.
Die Fragebögen
In beiden Studien wurden die Daten mithilfe eines Fragebogens erfasst. Im Fragebogen der britischen Studie wird nach aktuellen Symptomen wie Schwäche, Kopfschmerzen, etc. gefragt. Dabei bleibt offen, ob die Symptome infolge einer Corona-Erkrankung auftraten oder schon vorher vorhanden waren. Das finden wir kritisch. Wird hier einfach nur der aktuelle Gesundheitszustand der Testpersonen ermittelt? Oder doch Beschwerden im Zusammenhang mit einer Corona-Erkrankung? Eine Unterscheidung leistet der Fragebogen nicht. In der Studie wird daher auch anerkannt, dass die Beschwerden andere Ursachen haben könnten, wie beispielsweise die während Corona häufiger auftretenden psychische Gesundheitsprobleme, wie sie diese Studie aufzeigt.
Für den Fragebogen der italienischen Studie wurden Interviews mit den Eltern der Kinder geführt. Zwar wird in diesem Fragebogen explizit nach Symptomen gefragt, die vor der Corona-Erkrankung noch nicht präsent waren, die Einschätzung des Zusammenhangs von Symptomen und Erkrankung wird dabei aber allein den Eltern überlassen. Wie die eben angesprochene Studie zu psychischen Erkrankungen während Corona zeigt, traten die Symptome nach denen im Fragebogen gefragt wird zu dieser Zeit auch unabhängig von Corona häufiger auf. Wie wurde sichergestellt, dass Eltern die Beschwerden ihrer Kinder nicht ausschließlich aufgrund der intensiven Medienberichterstattung mit deren Corona-Erkrankung in Verbindung gebracht haben?
So etwas ist nämlich keine Seltenheit. Der YouTuber hbomberguy zeigt in einem Video zum Thema Impfen auf, wie die in den späten 1990 Jahren mediengeschürte Angst vor Autismus bei Kindern durch Kinder-Impfungen Eltern dazu veranlasst hat, den Autismus ihrer Kinder fälschlicherweise mit deren Impfung in Verbindung zu bringen. Dieser Mythos hält bis heute an und schürt immer noch Impfgegner.
Fehlende Kontrollgruppen
Keine der Studien hatte eine Kontrollgruppe. Sie liefern daher keine ausreichenden Anhaltspunkte, um eine Kausalität zwischen Corona-Erkrankung und Folgesymptomen feststellen zu können. Wie schon erwähnt, war Long Covid damals in aller Munde. Es ist zu erwarten, dass viele Menschen unter einem Nocebo-Effekt (das Gegenstück zum Placebo-Effekt) litten. Oder möglicherweise waren ganz andere Faktoren Auslöser der Beschwerden. 2021 war, wir erinnern uns schweren Herzens, für uns alle eine anstrengende Zeit. Brain Fog und Fatigue, die am häufigsten gemeldeten Symptome bei Long Covid, könnten auch ein Resultat der damaligen Situation sein. Eine definitive Aussage kann man anhand der Studien nicht machen.
Fazit
Trotz aller Kritik an den Studien, deuten diese natürlich trotzdem darauf hin, dass Long-Covid bei Kindern ein ernstzunehmendes Thema ist. Die Studien hatten damit auch einen wichtigen Zweck, denn sie waren Basis und Grund für weiterführende Studien. Uns ist es allgemein wichtig zu betonen, dass wir mit diesem Artikel keineswegs aussagen wollen, Long Covid gäbe es nicht. Inzwischen wurden viele weitere Studien zum Thema veröffentlicht. Schon Ende 2021 brachte das ZEGV und RKI eine Studie mit Kontrollgruppe heraus, die auf einen zuverlässigen Datensatz zurückgriff. (Auch wenn auch man diese Studie kritisieren kann, beispielsweise die Kontrollgruppe: Die Testgruppe dieser Studie war sich, im Gegensatz zu der Kontrollgruppe, ihrer Corona-Erkrankung bewusst. Somit sind psychische und soziale Komponenten, wie der Nocebo-Effekt, für die Testgruppe ein möglicher Faktor. Für die Kontrollgruppe nicht)
Gleichzeitig wollen wir Herrn Lauterbach scharf kritisieren. Die von ihm zitierten Studien als Basis für politisches Handeln heranzuziehen, halten wir für unvernünftig und falsch. Mit seiner Impfempfehlung für Kinder stellte er sich gegen die damalige Empfehlung der STIKO. Für seine Aussage “Wenn wir Kindern keine Impfung anbieten, kann [Long Covid] im Herbst ein Problem werden.” gab es keine ausreichenden Beweise. Als Gesundheitsminister und studierter Mediziner sollte er sich der Wirkung seiner Äußerungen zu diesem Thema bewusst sein und seine Worte sorgfältiger wählen. Denn natürlich übernahm ein Großteil der Medien Lauterbachs Aussagen, ohne diese groß zu hinterfragen, und sie wurden schnell zur allgemein akzeptierten Meinung. So kam es, dass sich viele Kinder und Jugendliche entgegen der Empfehlung der STIKO impfen ließen und in Deutschland eine Debatte mit noch recht wackeligen Fakten geführt wurde, an vorderster Front unser Gesundheitsminister.